22
Mai
2007

Regierungsgeheimnisse

Inwieweit darf eine Regierung Geheimnisse vor seinen Bürgern oder auch nur dem Parlament haben? Eigentlich ist ja die Regierung (und damit die gesamte Exekutive) dem Parlament rechenschaftspflichtig, allerdings hat das Bundesverfassungsgericht diese Rechenschaftspflicht eingeschränkt, indem es den vom Parlament unantastbaren Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung definierte:
Angesichts dieser Verfassungslage und Verfahrensmöglichkeiten dürften sich nur unter ganz besonderen Umständen Gründe finden lassen, dem Untersuchungsausschuß Akten unter Berufung auf das Wohl des Bundes oder eines Landes vorzuenthalten. Solche Gründe können sich insbesondere aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz ergeben. Die Verantwortung der Regierung gegenüber Parlament und Volk (vgl. BVerfGE 9, 268 [281]) setzt notwendigerweise einen "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" voraus (Scholz, Parlamentarischer Untersuchungsausschuß und Steuergeheimnis, AöR 105 [1980], S. 598), der einen auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Dazu gehört z. B. die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht.
Allerdings führte das Bundesverfassungsgericht zu dieser Schranke weiter aus:
Die Kontrollkompetenz des Bundestages erstreckt sich demnach grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge. Sie enthält nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen. Aber auch bei abgeschlossenen Vorgängen sind Fälle möglich, in denen die Regierung aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung geheimzuhaltende Tatsachen mitzuteilen nicht verpflichtet ist.
Wenn der Untersuchungsausschuß aber Vorkehrungen zur Geheimhaltung dieser Tatsachen trifft, so hat die Exekutive auch geheime Informationen zu liefern, so das Urteil weiter.

Wie man sieht, ist dieser Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung als Schranke für die parlamentarische Kontrolle recht eng umrissen. Nun beruft sich die Bundesregierung aber regelmäßig auf diesen Kernbereich, dabei ging es dem Bundesverfassungsgericht vor allem darum, die unabhängige Willensbildung und Handlungsfreiheit der Exekutive zu schützen, nicht jedoch die nachträgliche Aufklärung solcher Handlungen zu verhindern. Deswegen hat nun die Opposition im BND-Untersuchungsausschuß eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung eingereicht, weil mit Hinweis auf diesen Kernbereich Informationen verweigert werden. Und genauso dürfte wie im oben zitierten Urteil oder anderen Beschlüßen der Ausgang ziemlich klar sein (es sollte doch wohl logisch sein, daß die Regierung beim Thema der Kenntnis/Mitwirkung/Unterlassungen von Geheimdiensten bei Verschleppungen und Foltern sich nicht auf ihre Handlungsfreiheit berufen kann). Aber es kann der Regierung doch herzlich egal sein, wie das Urteil ausfällt (das wir vielleicht in einem Jahr zu erwarten haben). Aufgrund der verfassungswidrigen Verhaltensweise drohen ihr keine Konsequenzen, sie hat aber dadurch viel Zeit gewonnen. Viel Zeit, in der man die Wahrheit besser modellieren kann (d.h. die passenden Dinge vergessen), viel Zeit, in der das Interesse schwindet.

Was dieser Vorgang recht deutlich zeigt, ist, daß die Exekutive, also in diesem Fall die Bundesregierung, bei ihrem Streben nach Macht bzw. Machterhaltung auch vor Verfassungsverstößen keinen Halt macht und damit auch Opfer von Staatsverbrechen absichtlich im Regen stehen läßt.

Sehr interessante Lektüre zum Thema BND-Untersuchungsausschuß ist das R-Archiv, wo auch weitere bemerkenswerte Verfassungsverstöße berichtet werden.

PS: Nach Steinmeiers "Eine Entschuldigung ist nicht angezeigt", und das, obwohl ein Unschuldiger in ein Foltergefängnis gesteckt wurde (es ist mir scheißegal, ob die Einschätzung als "Gefährder" richtig war oder nicht, wenn ihm keine Tat nachgewiesen worden ist, dann gehört er nicht in ein Gefängnis wie in Guantanamo), wäre spätestens ein Rücktritt angezeigt gewesen. Nun rückt er stattdessen in die Parteispitze der SPD als Stellvertreter Becks auf. Traurig, traurig.
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