19
Nov
2007

Schäubles Freund

Bei der Zeit kann man einen Artikel von Wolfgang Schäuble unter dem Namen "Dein Staat, dein Freund, dein Helfer" lesen. Schäuble hält dort ein Plädoyer für den Präventionsstaat. Gehen wir mal durch...

Der Titel ist schon sehr aussagend. Die Prämisse, daß der Staat gleichzeitig mein Freund ist, gilt eben nicht. Sonst bräuchten wir kein Grundgesetz. Das Grundgesetz dient ja gerade dazu, mich vor dem Staat zu schützen. Wir bräuchten es nicht, wenn der Staat mein Freund wäre.
Prävention hat im Rechtsstaat, gerade bei Straftaten, keinen niedrigeren Rang als nachträgliche Verfolgung. Ich verstehe deshalb nicht, wenn argumentiert wird, dass bestimmte Grundrechtseingriffe von vornherein nur zur Strafverfolgung, aber unter keinen Umständen gesetzlich zur Vorbeugung vorgesehen werden dürfen.
Der Unterschied ist doch der, daß strafrechtliche Konsequenzen primär einen Beschuldigten treffen. Es wurde eine Tat begangen, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Grundrechtseingriffe betreffen "nur" Verdächtige. Trotzdem muß auch hier sehr sensibel mit Grundrechtseingriffen umgegangen werden, denn es gilt bis zur Verurteilung die Unschuldsvermutung. Bei der Prävention jedoch gibt es keine solche Tat, sondern nur eine vermutete Gefährdung. Die dazu eingesetzten Maßnahmen sind also prinzipiell willkürlich, so können jeden treffen (z.B. bei der Vorratsdatenspeicherung treffen sie auch wirklich jeden) und sind nur schwerlich zu kontrollieren (wie will man eine solche Vermutung widerlegen?). Das Mißbrauchspotential ist hier also ob dieser Willkür besonders hoch. Deswegen und eben wegen des riesigen Betroffenenkreises müssen bei solchen Grundrechtseingriffen eben ganz andere, nämlich besonders strenge Maßstäbe angelegt werden.
Freiheit und Sicherheit sind nicht – wie bei Hobbes – Gegensätze, sondern bedingen einander.
Das hat Herr Schäuble zwar richtig aufgeschrieben, aber ich glaube, selbst nicht ganz verstanden. Es ist, wie es im Artikel und generell bei den meisten Äußerungen von Schäuble anklingt, keine Einbahnstraße. Nicht unbedingt Freiheit durch mehr Sicherheit, sondern umgekehrt auch mehr Sicherheit durch Freiheit. Mehr Freiheit aufgrund geringerer Präventionsmaßnahmen bedeutet nämlich auch mehr Sicherheit vor unverhältnismäßigen oder gar willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane.
Manche aktuelle Diskussion in Deutschland scheint demgegenüber bei Thomas Hobbes stehen geblieben zu sein. Mit einem vordemokratischen Staatsbild wird ein Gegensatz konstruiert zwischen der an Freiheit und Autonomie des Einzelnen orientierten Logik des liberalen Rechtsstaats und der an Sicherheit und Effizienz orientierten Logik eines dem Rechtsstaat entgegengesetzten Präventionsstaates. Der idyllischen, vorstaatlichen und vorrechtlich konstruierten Freiheit des Einzelnen wird der freiheitsbedrohende Staat gegenübergestellt, der selbst noch im demokratischen Gesetzgeber verkörpert ist.
Hier sind wir wieder beim Titel. Herr Schäuble unterstellt allen, die die "Freundschaft des Staates" mit Mißtrauen sehen, ein "vordemokratisches Staatsbild". Und das mit folgender Begründung:
Aber nie war die Freiheit nur vom Staat bedroht. Die Disziplinierung des Staates durch die Grundrechte und seine Aktivierung gehören in der Rechtsstaatlichkeit zusammen. Unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit bedrohen nur nichtstaatliche Akteure das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Auch die persönliche Freiheit und die Bewegungsfreiheit sind weit mehr von nichtstaatlicher Gewalt bedroht als durch den Rechtsstaat.
"Nie"? Er erwähnt im Artikel selbst den Nationalsozialismus, um danach zu behaupten, daß die Freiheit nie nur vom Staat bedroht wurde. Was haben wir da denn für Scheuklappen aufgesetzt. Und dann die Aussage "unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit" klammert einfach ein gewichtiges Argument gegen die Schäuble-Vorstellungen aus. Wie bitte garantiert Herr Schäuble denn Rechtsstaatlichkeit? Die Garantie dafür soll eben gerade das Grundgesetz bieten, und jede Einschränkung des Grundgesetzes ist eben auch eine Einschränkung dieser Garantie, aber diesen Aspekt läßt Herr Schäuble vollkommen unter den Tisch fallen, die Rechtsstaatlichkeit werde es immer geben, egal, wie die Grundrechte eingeschränkt werden. Und der letzte Satz ist als Rechtfertigung einfach nur schwach. Mit der Begründung, es gäbe noch schlimmere Akteure kann man die gräßlichsten Dinge anstellen. Das ist einfach kein Argument.
Wenn etwa in der Debatte über die Videoüberwachung öffentlicher Räume die gefühlte – und damit auch reale – Verkürzung der Freiheit geltend gemacht wird, so ist ebenso an die reale Verkürzung individueller Freiräume zu erinnern, die aus bedrohter persönlicher Sicherheit im öffentlichen Raum erwächst. Wer ist unfreier: der Bürger, der sich aufgrund einer Sorge vor Kriminalität zu bestimmten Zeiten nicht mehr an bestimmte Orte traut, oder derjenige, der bestimmte Räume meidet, weil sie videoüberwacht sind?
Hier ist Verhältnismäßigkeit das große Stichwort. Die Einschränkung der Freiheit durch die Videoüberwachung muß geringer sein, als die Einschränkung durch Kriminalität. Und dabei muß nicht nur die bloße persönliche Hemmung gewertet werden, sondern eben auch die Mißbrauchsmöglichkeiten durch Mitarbeiter staatlicher Organe oder eben auch durch die geringere Wehrhaftigkeit der Bevölkerung gegenüber willkürlichen oder grundgesetzwidrigen staatlichen Handeln. Und die Begründung dieser Verhältnismäßigkeit läßt sich bisher bei jeder Äußerung Schäubles vermissen, auch in diesem Artikel.

Wenn mit Terrorismus argumentiert wird (wie es ein Satz vor oben genannten Zitat geschieht), dann wird mit Ängsten gespielt, jedoch keine Verhältnismäßigkeit begründet. Terrorismus ist in Deutschland derzeit kaum existent, nicht auch zuletzt aufgrund der guten Arbeit der staatlichen Organe mit bestehenden Mitteln. Verbreitet wird dagegen die Angst davor.
Der Rechtsstaat hat immer darauf geachtet, dass es keine Rückzugsräume für Kriminelle gibt. Er muss auch heute darauf achten, dass keine entstehen. Deswegen brauchen wir die Onlinedurchsuchung. Wir geben den Rechtsstaat eher auf, wenn wir zulassen, dass der Staat und sein Recht in der globalisierten Internetgesellschaft an Boden verlieren, als – wie dies vielfach beschworen wird – durch die Einführung neuer, dem technischen Fortschritt geschuldeter Ermittlungsinstrumente.
Das sieht das Verfassungsgericht anders. Auch für Kriminelle gibt es Rückzugsräume, nämlich den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Und die Onlinedurchsuchung stellt einen Eingriff in diesen Kernbereich dar. Mir ist nicht ganz klar, wieso wir den Rechtsstaat aufgeben, wenn wir persönliche Kommunikation (egal welchen Inhalts) außer Acht lassen, genauso wie wir auch die Gedanken eines jeden außer Acht lassen? Wieso kann Strafverfolgung und Verbrechensprävention nicht ohne Überwachung der persönlichen Kommunikation auskommen? Persönliche Kommunikation wird in Zukunft immer besser digital geschützt sein (die kaum knackbaren Verschlüsselungstechnologien gibt es bereits, jetzt ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie den Alltag endgültig durchdringen, und die Implementationen vor staatlicher oder krimineller Manipulation sicher sind), der Staat wird also entweder irgendwann dieses Terrain verlieren oder aber wir finden uns in einer Totalüberwachung wieder.

Ein weiterer Punkt bleibt hierbei außer Acht: Gibt es nicht andere Möglichkeiten, bei denen wir mehr Freiheit und Sicherheit für unser Geld bekämen? Wie wäre es zum Beispiel mit der personellen Aufrüstung unserer überlasteten Polizei. Wäre das nicht deutlich förderlicher, als die Kommunikationsüberwachung. Oder wie wäre es mit Tempo 130 auf den Autobahnen, es gibt deutlich mehr Verkehrstote als Terrorismustote. (Ja, ich weiß, auch das Tempo 130 ist ein kontroverses Thema, ich will hier nur damit andeuten, daß es andere Möglichkeiten gibt, die Sicherheit zu verbessern, ohne gleich die Bürger zu überwachen.)
Datenschutz bedeutet nicht, dass der Staat wegschauen muss, wenn es um die Vorbereitung schwerster Straftaten geht. Datenschutz bedeutet, dass der Gesetzgeber transparente Grundlagen dafür schafft, wer welche Daten wofür erhebt, welche Daten vernetzt werden können, wie lange sie gespeichert werden – das heißt: klare rechtliche Regelungen und richterliche Kontrolle, aber kein bewusster Verzicht auf Informationen, die notwendig sind, um den staatlichen Sicherheitsauftrag wahrnehmen zu können.
Hier führt Herr Schäuble eine neue Definition von Datenschutz ein, ähnlich wie Frau Zypries. Das Bundesverfassungsgericht sieht das natürlich etwas anders, danach müsse der Bürger selbst entscheiden können, welche Daten er preisgibt und welche nicht.
Das Bundesverfassungsgericht praktiziert deshalb ein insgesamt hohes Maß an juristischer Selbstbeschränkung bei der materiellen Grundrechtsprüfung. Ob bei Themen der inneren Sicherheit diese Diagnose in gleichem Maße gilt, darüber kann man vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Sicherheitsgesetzgebung diskutieren. Bei der akustischen Wohnraumüberwachung hat etwa die Kernbereichslehre dazu geführt, dass ein in der Verfassung abgesichertes Ermittlungsinstrument weitgehend ins Leere läuft.

Dem Gesetzgeber muss aber der notwendige Spielraum verbleiben, um seine rechtsstaatlichen Aufgaben wahrzunehmen.
Ja, ja, das böse Bundesverfassungsgericht, weil es auf die Einhaltung des Grundgesetzes pochte, ist ein angedachtes Ermittlungsinstrument (nämlich der Große Lauschangriff) nicht mehr praktikabel. Daß sich Herr Schäuble deswegen mehr Spielraum erbittet, sagt doch alles.

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