9
Nov
2007

Vorratsdatenspeicherung beschlossen

Fernmeldegeheimnis war einmal

Was erwartet man von jemanden, der in Verfolgung seiner Ziele so blind geworden ist, daß er den Bezug zur Realität verloren hat? Sätze wie:
"Wir hatten den 'größten Feldherrn aller Zeiten', den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten."
Der Bundestag hat also heute in 2. und 3. Lesung die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Die Debatte dazu im Bundestag war mal wieder sehr aufschlußreich. Unsere Bundesjustizminsterin Zypries begann:
"Und mit der Erweiterung von Telekommunikationsüberwachungsmöglichkeiten hat die Regelung auch überhaupt gerade gar nichts zu tun."
Daß alle meine Telekommunikationen zwangsweise mitprotokolliert werden müssen, hat mit Erweiterung von Überwachungsmöglichkeiten nichts zu tun? Da fragt man sich, was dann mit Überwachung zu tun hat? Wenn die ganze Welt mitlesen darf?

Es ging ja weiter. Frau Zypries meinte, daß der Bürger mit dieser Regelung auch nicht schlechtergestellt werde, "denn es bleibt dabei, die Daten werden ja nicht beim Staat gespeichert, sondern sie werden bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert, genau wie heute auch. Und es bleibt dabei, ein Zugriff auf diese Daten kann es nur geben, wenn man den Verdacht auf eine schwere Straftat hat und einen richterlichen Beschluß."

Wieso macht es einen Unterschied, ob der Staat das speichert, oder die Unternehmen im Auftrage des Staates? Die Unternehmen kann ich noch viel schlechter kontrollieren. Wenn man sich das so einfach machen kann, da gibt's bestimmt noch mehr Polizeiaufgaben, die man an private Unternehmen delegieren kann. Das wird sicher lustig.

Und der Satz mit der schweren Straftat ist sowieso ein Witz, so weisen diverse Redner später daraufhin, daß im Gesetzestext nur von erheblichen Straftaten geredet wird. Auch fällt natürlich §129a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) darunter, das ist vorwiegend ein Ermittlungsparagraph, bei dem es nur in wenigen Fällen zu einer Verurteilung kommt, aber man darf alles mögliche ermitteln, ein Freifahrtsschein für's BKA, wenn man nur irgendwie einen Verdacht begründen kann. Aber das Schärfste, was auch Frau Zypries wissen muß und deswegen ich mir sicher bin, daß sie lügt, ist, daß auch alle Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen werden, (so der Gesetzestext) darunterfallen. Und da reicht es schon, wenn ich jemanden in einem Forum beleidige. Eine ungeheur schwere Straftat.

Bei dieser Lesung ging es nicht nur um die Vorratsdatenspeicherung, sondern auch allgemein um die Telekommunikationsüberwachung (eine Stunde für beide Themen, etwas knapp, oder?). Jedenfalls bei der Telekommunikationsüberwachung wurde nun der Schutz von Berufsgeheimnisträgern stärker gesetzlich verankert. Dabei gibt es zwei Arten dieser Berufsgeheimnisträger, zum Einen die priviligierten, bei denen ein absolutes Beweiserhebungs- und verwertungsverbot existiere. Darunter fallen Strafverteidiger, Geistliche und (natürlich) Abgeordnete. Und zum Anderen die nicht privilegierten, bei denen das Gericht abwägen darf, ob der Eingriff gerechtfertigt ist oder nicht (Huch? Und was geschieht bei Nicht-Berufsgeheimnisträgern? Da ist es eh egal?). Zu denen gehören die ganz normalen Anwälte, Ärzte und Journalisten. Und diese Trennung war Bestandteil großer Proteste dieser Berufsgruppen.

Siegfried Kauder nahm dazu mit der Begründung Stellung, daß diese Trennung das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil erlaubt hätte. Das mag richtig sein, aber damit bewegt er sich am verfassungsrechtlichen Minimum. Wollen wir das? Gerade nur die Freiheiten geben, die das Grundgesetz verbindlich festlegt, auf keinen Fall mehr? Schöne Richtung, liebe CDU.

Lustig fand ich seine Aussage: "Wir wollen keinen gläsernen Menschen, wir wollen einen gläsernen Verbrecher." Aha, und wie unterscheiden Sie die beiden, bevor Sie sie überwachen? Wenn die Polizei ja weiß, wer schuldig ist, wieso dann noch die Überwachung? Ein Scherzkeks, dieser Kauder. (Wohin diese Einstellung führt, zeigt folgender Bericht von Polylux über Anrej Holm.)

Am Ende seiner Rede lieferte er noch folgendes Bonbon zur Vorratsdatenspeicherung:
"Und man darf nicht den Eindruck erwecken, als würden wir flächendeckend Daten erheben. [...] Es geht darum, daß ein ohnehin bestehender Zustand in seinem Zweck und der Sinngebung anders gelagert wird. [...] Also was ändert sich denn mit dem Gesetzentwurf zur jetzigen Gesetzeslage? Nichts wesentliches. Der einzige technische Unterschied ist, daß Telekommunikationsunternehmen nunmehr nicht mehr freiwillig 6 Monate lang Daten speichern dürfen, sondern daß sie gesetzlich dazu aufgerufen sind, diese Daten zu erheben."
Also erstmal tituliert er ein klar rechtswidriges Verhalten, nämlich die jetzige Speicherung von Verbindungsdaten durch die Telekommunikationsunternehmen, als "jetzige Gesetzeslage". (Man kann nämlich durchaus davon ausgehen, daß die Flatrate-Nutzer einen Großteil der Internetnutzer darstellen, und da ist die Speicherung illegal.) Auch daß die zwangsweise Protokollierung im wesentlichen nichts anderes als eine freiwillige Aufzeichnung ist, ist schon eine bemerkenswerte Äußerung für einen Anwalt. Aber er unterschlägt, daß die Protokollierungspflichten deutlich über die jetzigen (illegalen) Speicherungen hinausgehen: Jetzt wird nicht jede E-Mail mitprotokolliert oder der Standort bei Handytelefonaten.

Zwei weitere Kritikpunkte wurden noch von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Jan Korte (Die Linke) vorgetragen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger antwortete auf Frau Zypries Aussage, dieses Gesetz räume den Nachrichtendiensten
keinerlei Befugnisse ein, daß dies zwar richtig sei, aber auch der (mit diesem Gesetzespaket hinzugefügte) §113b TKG erlaubt, daß die so verpflichtend gespeicherten Daten an die Geheimdienste herausgegeben werden können. Toll nicht?

Herr Korte wies zur Telekommunikationsüberwachung darauf hin, daß das Gesetz den privaten Kernbereich nur dann vor Überwachung schützt, wenn "allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung
erlangt würden"
(so der Gesetzestext). Wie soll die Polizei das im Voraus wissen? Außerdem redet man doch auch immer von anderen (möglicherweise auch belanglosen, jedoch nicht mehr privaten) Themen, so daß immer auch andere Erkenntnisse erlangt würden. Ein schönes Schlupfloch, was unser Justizministerium da gelassen hat.

Den Höhepunkt der Lächerlichkeit brachte dann Klaus Uwe Benneter (SPD). Er meinte, er habe ein Interesse "an der Ermittlung der Täter, an der Feststellung ihrer Schuld, auch am Freispruch bei Unschuldigen." Lobenswert, und meinte im nächsten Satz: "Das alles ist unter den heutigen Bedingungen eben nur möglich, wenn auch die Kommunikationsmöglichkeiten überwacht und hier gespeichert, erhoben und gespeichert werden." Abgesehen davon, daß es strittig ist, inwiefern die Vorratsdatenspeicherung die Aufklärungsquote von Straftaten noch wesentlich erhöhe, finde ich es sehr bedenktlich, wenn die Vorratsdatenspeicherung benötigt wird, um Unschuldige freizusprechen.

Aber Herr Benneter steigerte sich noch:
"Es ist unwahr, wenn sie hier jetzt tun, als würden wir hier alle unter Generalverdacht gestellt werden. Das ist Quatsch. Dann würde heute auch jeder unter Generalverdacht stehen, der irgendwo ein Konto hat, denn auch da darf dann bei entsprechenden Verdachtsmomenten zugegriffen werden."
Die Kontenabfrage, die durch das Gesetz zur Förderung von Steuerehrlichkeit auch für sonstige Behörden eingeführt wurde, stellt natürlich alle Bürger unter Generalverdacht, Steuern zu hinterziehen oder Sozialleistungen zu erschleichen, denn die Abfrage wird verdachtsunabhängig durchgeführt. Auch ansonsten ist diese Aussage ein klassischer Beleg für die Salamitaktik, wenn das mit den Konten okay ist, dann ist das mit der ganzen Telekommunikation ja auch okay, und mit dem Mautdaten usw., Schritt für Schritt zum Überwachungsstaat. Grrr.

Hier ist übrigens der Gesetzesentwurf und die namentliche Liste über das Abstimmungsverhalten. Das Gesetz wurde angenommen, netzpolitik.org dokumentiert Reaktionen auf diesen Beschluß...

PS: Unsere Abgeordneten haben anscheinend auch einen merkwürdigen Humor, denn am gleichen Tag beschließen sie die Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals, so daß wir uns an die frühere Freiheit zurückerinnern können.

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