29
Feb
2008

Es nützt mir doch mein bestes Grundrecht nichts...

Es nützt mir doch mein bestes Grundrecht nichts, wenn ich konkret fürchten muss, dass abends in der U-Bahn eine Bombe hochgehen kann.
Das ist eine Aussage von Frau Zypries im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Ich hab keine Angst, daß in der U-Bahn eine Bombe hochgeht. Bei 5000 Verkehrstoten im Jahr hätte ich ganz andere Sorgen, urplötzlich aus dem Leben zu scheiden. Die Berliner Politik inklusive Frau Zypries und Herrn Schäuble haben dringend einen Realitätscheck notwendig und sollten ihre Prioritäten überdenken.
Wir nutzen hier die Möglichkeiten, die es seit jeher gibt, und bauen diese nach den EU-Richtlinien aus.
Auch eine schöne Antwort auf die Frage nach der Vorratsdatenspeicherung. Der erste Teil schon: Wir nutzen hier die Möglichkeiten, die es seit jeher gibt. Eine tolle Rechtfertigung. Die Banken speichern auch seit Jahren alle Kontobewegungen, wie wäre es da denn mit der Nutzung zu steuerrechtlichen Zwecken, die Möglichkeit gibt's doch? Der zweite Teil: ...und bauen diese nach den EU-Richtlinien aus. Warum? Keine Antwort. Es gibt sie, als dürfen sie ausgeweitet werden. Logik a la Zypries.

Schön auch diese Aussage:
Es ist ein Unterschied, ob man in Karlsruhe oder hier im aufgeregten Politikbetrieb sitzt. Es ist auch ein Unterschied, ob ich als Bundesinnenminister Verantwortung trage dafür, dass möglichst nichts passiert, oder ob ich als höchstes Gericht Deutschlands um Ausgleich und Rationalität bemüht bin.
Das ist Cover-Your-Ass-Security, wie sie im Buche (bzw. in Bruce Schneiers Blog) steht. Im aufgeregten Politikbetrieb möchte der Bundesinnenminster sicherstellen, daß, falls doch mal was passiert, er nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann. Sicherheit ist aber stets ein Kompromiss (nein, nicht zwischen Sicherheit und Freiheit, denn auch Freiheiten bieten Sicherheit). Für seine Freiheiten muß man ein gewisses Risiko in Kauf nehmen.

22
Feb
2008

Wortbruch!

Dieser ganze Medienrummel um den Wortbruch der SPD geht mir ehrlich auf den Keks.

Halten wir mal fest: Nach der Wahl hat die SPD versprochen, weder mit der Linken zusammenzuarbeiten noch mit der CDU zu koalieren. Die FDP versprach, nicht mit der SPD zusammenzuarbeiten, die Grünen versprachen, nicht mit der FDP zu koalieren, und die Linken versprachen, die CDU keinesfalls zu dulden.

Aufgrund dieser Versprechen ist keine mehrheitsfähige Koalition ohne Wortbruch möglich. Na und? So muß halt jemand in den sauren Apfel beißen und seine Überzeugungen zugunsten einer stabilen Regierung ändern. Die Alternative ist nur eine CDU-Minderheitsregierung (SPD darf ja nicht, weil sie sonst von den Linken gewählt würden). Klar, daß der CDU das gefällt, aber warum spielen die Massenmedien da mit, oder die SPD?

21
Jan
2008

Schäuble tritt die Verfassung

Bundesinnenminister Schäuble, zu dessen Aufgabenbereich ja die Verfassung gehört, hat sich mal wieder um sie gekümmert.
Alle grundrechtlich geschützten Bereiche enden irgendwo. Wo diese Grenzen sind, wie man die gegensätzlichen Interessen abgrenzt, ist Sache des Gesetzgebers.
Nö? Die Grundrechte sind ja - wie ich schon einmal schrieb - gerade ein Schutzmechanismus vor dem Staat, also auch vor dem Gesetzgeber. Es wäre völlig widersinning, wenn gerade dieser die Grundrechte nach Belieben einschränken könnte.

Wie Udo Vetter zum Beispiel in seinem Blog schreibt, ist die Menschenwürde unantastbar, hier gilt nach Artikel 19 und 79 GG eine Ewigkeitsgarantie. Auch der Gesetzgeber darf sie also nicht in ihrem Wesensgehalt antasten.
Ich verstehe, dass manche Verfassungsrichter gern Ratschläge geben würden. Dazu sind sie aber nicht demokratisch legitimiert.
Also Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier wurde vom Bundestag gewählt, genauso wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Wenn er mit diesem Zitat darauf anspricht, daß es nicht Aufgabe von Bundesverfassungsrichtern ist, der Regierung Ratschläge zu geben, dann sollte er daran denken, daß es auch nicht Aufgabe der Regierung ist, daß Bundesverfassungsgericht zu kritisieren, denn das Gericht unterliegt keiner Rechenschaftspflicht.

Dann geht's zum Luftsicherheitsgesetz:
Ich bin nicht für Grauzonen – auch nicht in Notsituationen. In der Verfassung muss schon geregelt sein, wer in einer Notsituation wie einem Angriff nach Muster des 11. September rechtlich handeln darf.
Mit Handeln ist hier natürlich Abschießen gemeint. Interessanterweise ist das aber auch schon in der Verfassung geregelt, da gibt es nämlich ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dazu. Hier darf man also wieder das Neusprech der Politiker beobachten, wo Illegalität zur Grauzone umdefiniert wird.

Auch die nicht die Verfassung betreffenden Aussagen sind bemerkenswert. So wurde er nach dem fremdenfeindlichen Ton von Kochs Wahlkampf gefragt und antwortete:
Wir können doch nicht anfangen, Notwendiges und Richtiges nicht mehr zu sagen, aus Angst vor den selbst ernannten Gralshütern der Political Correctness.
Richtiges? Richtig ist vielmehr, daß nicht die Herkunft eine Rolle spielt, sondern die soziale Lage. Wenn man also aus der Menge an jugendlichen Verbrechen gerade die für den Wahlkampf rauspickt, die von Ausländern begangen wurden, dann ist das also notwendig, Herr Schäuble?

Natürlich schafft es Herr Schäuble daraus gleich wieder zum islamistischen Terrorismus überzuleiten, sein Lieblingsthema:
Das ist die Macht der Bilder, dieses Video aus der Münchner U-Bahn, bewegt die Menschen. Gott sei Dank ist den islamistischen Terroristen in Deutschland noch kein Terroranschlag gelungen. Aber wir sollten uns nicht täuschen, wir sind in ihrem Fadenkreuz.
Ich möchte dazu auf einen Blog-Eintrag von Bruce Schneier (weltweit anerkanner Sicherheitsexperte) aufmerksam machen: Fear Is Unhealthy. Darin berichtet er von einem Artikel in der New York Times darüber, daß die Angst vorm Terrorismus deutlich gesundheitsschädlicher als der eigentliche Akt des Terrorismus ist. Dies sei ja gerade der Sinn und Zweck des Terrorismus. Und mit solchen Aussagen macht Herr Schäuble sich also selbst zu einem bedeutenden Terrorhelfer hier in Deutschland.

26
Nov
2007

§129a StGB

Einen sehr lesenswerten Artikel über §129a StGB hat Andrej Holm (ein Sozialwissenschaflter, saß selbst wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Untersuchungshaft) verfaßt:
Zu Beginn der Ermittlungen - so suggerieren es jedenfalls die bisher ausgehändigten Akten der Bundesanwaltschaft - steht eine Internetrecherche. Die Beamten suchen linguistische Übereinstimmungen zu den Erklärungen der "militanten gruppe" und finden mehr oder minder übliche Begriffe, die sich zu Tausenden in kritischen wissenschaftlichen und journalistischen Texten finden wie "Gentrification", "Prekarisierung", "Bezugsrahmen". Für einen Anfangsverdacht, um das Verfahren einzuleiten, reicht dies aus. Das Publizieren und Veröffentlichen selbst wird so zum ersten Anhaltspunkt von Ermittlungen. Ganze Berufstände wie Journalisten, Wissenschaftler und Politiker geraten allein durch ihre Tätigkeit ins Raster. Ihre Präsenz in öffentlich zugänglichen und vor allem netzgebundenen Medien ermöglicht eine zunächst tat- und verdachtsunabhängige Ermittlung. Rechtsexperten bezeichnen dies als eine Vorverlagerung der Strafverfolgung und den Übergang zu einem präventiven Sicherheitsstaat. Der Verdacht - sonst der Ausgangspunkt von polizeilicher Nachforschungen - wird zum Ergebnis der Ermittlungsarbeit. Statt Straftaten aufzuklären, werden Verdächtige erschaffen.
Unsere Sicherheitsbehörden suchen mit mehr oder minder schwammigen Bedingungen nach Terroristen und bei 80 Millionen Menschen wird man da immer jemanden finden. Bruce Schneier und Floyd Rudmin haben über diese Probleme schon geschrieben.

Und unser Recht räumt gerade bei Verdacht auf §129a StGB, der sich so leicht konstruieren läßt und doch so selten vorkommt, eine Unmenge an Ermittlungsmaßnahmen mit intensiven Eingriffen in die Freiheit und Privatsphäre ein.

Gefunden im Lawblog.

20
Nov
2007

Kontosperrungen bei Ermittlungen

Ich schrieb ja schon einmal, daß §129a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) ein Ermittlungsparagraph ist (in den letzten Jahren wurde die deutliche Mehrheit der Ermittlungsverfahren wieder eingestellt), er eröffnet den Ermittlungsbehörden bei entsprechender Verdachtsäußerung ein umfangreiches Arsenal an Ermittlungsmaßnahmen (Großer Lauschangriff, Hausdurchsuchung, Abfrage aller auf Vorrat gesammelten Daten).

Das Verwaltungsgericht Fankfurt am Main hat nun ein weiteres Druckmittel hinzugefügt. Die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsrecht) darf das Konto eines nach §129a Verdächtigten sperren (bzw. ihm 660 Euro im Monat lassen). Es muß noch nicht einmal ein dringender Tatverdacht gegeben sein. In der Pressemitteilung führt es aus:
Wenn gegen den Kontoinhaber ein entsprechendes Ermittlungsverfahren aufgenommen werde, lasse dies den Schluss zu, dass dieses Konto, wenn auch nur mittelbar über die Person, zu terroristischen Aktivitäten einer entsprechenden Vereinigung einen irgendwie gearteten Beitrag leiste. Für die Annahme eines entsprechenden Rückschlusses bedürfe es im Falles eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens keines einzelfallbezogenen spezifischen Finanzierungsbeitrags, etwa in dem Sinne, dass es einer Kontenbewegung bedürfe, die zweckgerichtet und belegbar der Finanzierung einer terroristischen Vereinigung diene, was die Effektivität entsprechender Gefahrenabwehrmaßnahmen im Übrigen auch erheblich reduzieren würde.
Wir halten fest, derjenige ist noch nicht verurteilt, sondern gegen ihn wird nur ermittelt (und das kann bei entsprechender Verdächtigung jedem passieren). Er gilt also noch als unschuldig. Trotzdem läßt allein das Verfahren (welches, wie gesagt in den wenigsten Fällen erfolgreich ist) den Schluß zu, daß der Beschuldigte terroristische Aktionen finanziert, obwohl auch keine Kontobewegungen dies belegen, und ihm wird deswegen das Konto gesperrt.

Gefunden im Lawblog.

19
Nov
2007

Schäubles Freund

Bei der Zeit kann man einen Artikel von Wolfgang Schäuble unter dem Namen "Dein Staat, dein Freund, dein Helfer" lesen. Schäuble hält dort ein Plädoyer für den Präventionsstaat. Gehen wir mal durch...

Der Titel ist schon sehr aussagend. Die Prämisse, daß der Staat gleichzeitig mein Freund ist, gilt eben nicht. Sonst bräuchten wir kein Grundgesetz. Das Grundgesetz dient ja gerade dazu, mich vor dem Staat zu schützen. Wir bräuchten es nicht, wenn der Staat mein Freund wäre.
Prävention hat im Rechtsstaat, gerade bei Straftaten, keinen niedrigeren Rang als nachträgliche Verfolgung. Ich verstehe deshalb nicht, wenn argumentiert wird, dass bestimmte Grundrechtseingriffe von vornherein nur zur Strafverfolgung, aber unter keinen Umständen gesetzlich zur Vorbeugung vorgesehen werden dürfen.
Der Unterschied ist doch der, daß strafrechtliche Konsequenzen primär einen Beschuldigten treffen. Es wurde eine Tat begangen, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Grundrechtseingriffe betreffen "nur" Verdächtige. Trotzdem muß auch hier sehr sensibel mit Grundrechtseingriffen umgegangen werden, denn es gilt bis zur Verurteilung die Unschuldsvermutung. Bei der Prävention jedoch gibt es keine solche Tat, sondern nur eine vermutete Gefährdung. Die dazu eingesetzten Maßnahmen sind also prinzipiell willkürlich, so können jeden treffen (z.B. bei der Vorratsdatenspeicherung treffen sie auch wirklich jeden) und sind nur schwerlich zu kontrollieren (wie will man eine solche Vermutung widerlegen?). Das Mißbrauchspotential ist hier also ob dieser Willkür besonders hoch. Deswegen und eben wegen des riesigen Betroffenenkreises müssen bei solchen Grundrechtseingriffen eben ganz andere, nämlich besonders strenge Maßstäbe angelegt werden.
Freiheit und Sicherheit sind nicht – wie bei Hobbes – Gegensätze, sondern bedingen einander.
Das hat Herr Schäuble zwar richtig aufgeschrieben, aber ich glaube, selbst nicht ganz verstanden. Es ist, wie es im Artikel und generell bei den meisten Äußerungen von Schäuble anklingt, keine Einbahnstraße. Nicht unbedingt Freiheit durch mehr Sicherheit, sondern umgekehrt auch mehr Sicherheit durch Freiheit. Mehr Freiheit aufgrund geringerer Präventionsmaßnahmen bedeutet nämlich auch mehr Sicherheit vor unverhältnismäßigen oder gar willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane.
Manche aktuelle Diskussion in Deutschland scheint demgegenüber bei Thomas Hobbes stehen geblieben zu sein. Mit einem vordemokratischen Staatsbild wird ein Gegensatz konstruiert zwischen der an Freiheit und Autonomie des Einzelnen orientierten Logik des liberalen Rechtsstaats und der an Sicherheit und Effizienz orientierten Logik eines dem Rechtsstaat entgegengesetzten Präventionsstaates. Der idyllischen, vorstaatlichen und vorrechtlich konstruierten Freiheit des Einzelnen wird der freiheitsbedrohende Staat gegenübergestellt, der selbst noch im demokratischen Gesetzgeber verkörpert ist.
Hier sind wir wieder beim Titel. Herr Schäuble unterstellt allen, die die "Freundschaft des Staates" mit Mißtrauen sehen, ein "vordemokratisches Staatsbild". Und das mit folgender Begründung:
Aber nie war die Freiheit nur vom Staat bedroht. Die Disziplinierung des Staates durch die Grundrechte und seine Aktivierung gehören in der Rechtsstaatlichkeit zusammen. Unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit bedrohen nur nichtstaatliche Akteure das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Auch die persönliche Freiheit und die Bewegungsfreiheit sind weit mehr von nichtstaatlicher Gewalt bedroht als durch den Rechtsstaat.
"Nie"? Er erwähnt im Artikel selbst den Nationalsozialismus, um danach zu behaupten, daß die Freiheit nie nur vom Staat bedroht wurde. Was haben wir da denn für Scheuklappen aufgesetzt. Und dann die Aussage "unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit" klammert einfach ein gewichtiges Argument gegen die Schäuble-Vorstellungen aus. Wie bitte garantiert Herr Schäuble denn Rechtsstaatlichkeit? Die Garantie dafür soll eben gerade das Grundgesetz bieten, und jede Einschränkung des Grundgesetzes ist eben auch eine Einschränkung dieser Garantie, aber diesen Aspekt läßt Herr Schäuble vollkommen unter den Tisch fallen, die Rechtsstaatlichkeit werde es immer geben, egal, wie die Grundrechte eingeschränkt werden. Und der letzte Satz ist als Rechtfertigung einfach nur schwach. Mit der Begründung, es gäbe noch schlimmere Akteure kann man die gräßlichsten Dinge anstellen. Das ist einfach kein Argument.
Wenn etwa in der Debatte über die Videoüberwachung öffentlicher Räume die gefühlte – und damit auch reale – Verkürzung der Freiheit geltend gemacht wird, so ist ebenso an die reale Verkürzung individueller Freiräume zu erinnern, die aus bedrohter persönlicher Sicherheit im öffentlichen Raum erwächst. Wer ist unfreier: der Bürger, der sich aufgrund einer Sorge vor Kriminalität zu bestimmten Zeiten nicht mehr an bestimmte Orte traut, oder derjenige, der bestimmte Räume meidet, weil sie videoüberwacht sind?
Hier ist Verhältnismäßigkeit das große Stichwort. Die Einschränkung der Freiheit durch die Videoüberwachung muß geringer sein, als die Einschränkung durch Kriminalität. Und dabei muß nicht nur die bloße persönliche Hemmung gewertet werden, sondern eben auch die Mißbrauchsmöglichkeiten durch Mitarbeiter staatlicher Organe oder eben auch durch die geringere Wehrhaftigkeit der Bevölkerung gegenüber willkürlichen oder grundgesetzwidrigen staatlichen Handeln. Und die Begründung dieser Verhältnismäßigkeit läßt sich bisher bei jeder Äußerung Schäubles vermissen, auch in diesem Artikel.

Wenn mit Terrorismus argumentiert wird (wie es ein Satz vor oben genannten Zitat geschieht), dann wird mit Ängsten gespielt, jedoch keine Verhältnismäßigkeit begründet. Terrorismus ist in Deutschland derzeit kaum existent, nicht auch zuletzt aufgrund der guten Arbeit der staatlichen Organe mit bestehenden Mitteln. Verbreitet wird dagegen die Angst davor.
Der Rechtsstaat hat immer darauf geachtet, dass es keine Rückzugsräume für Kriminelle gibt. Er muss auch heute darauf achten, dass keine entstehen. Deswegen brauchen wir die Onlinedurchsuchung. Wir geben den Rechtsstaat eher auf, wenn wir zulassen, dass der Staat und sein Recht in der globalisierten Internetgesellschaft an Boden verlieren, als – wie dies vielfach beschworen wird – durch die Einführung neuer, dem technischen Fortschritt geschuldeter Ermittlungsinstrumente.
Das sieht das Verfassungsgericht anders. Auch für Kriminelle gibt es Rückzugsräume, nämlich den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Und die Onlinedurchsuchung stellt einen Eingriff in diesen Kernbereich dar. Mir ist nicht ganz klar, wieso wir den Rechtsstaat aufgeben, wenn wir persönliche Kommunikation (egal welchen Inhalts) außer Acht lassen, genauso wie wir auch die Gedanken eines jeden außer Acht lassen? Wieso kann Strafverfolgung und Verbrechensprävention nicht ohne Überwachung der persönlichen Kommunikation auskommen? Persönliche Kommunikation wird in Zukunft immer besser digital geschützt sein (die kaum knackbaren Verschlüsselungstechnologien gibt es bereits, jetzt ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie den Alltag endgültig durchdringen, und die Implementationen vor staatlicher oder krimineller Manipulation sicher sind), der Staat wird also entweder irgendwann dieses Terrain verlieren oder aber wir finden uns in einer Totalüberwachung wieder.

Ein weiterer Punkt bleibt hierbei außer Acht: Gibt es nicht andere Möglichkeiten, bei denen wir mehr Freiheit und Sicherheit für unser Geld bekämen? Wie wäre es zum Beispiel mit der personellen Aufrüstung unserer überlasteten Polizei. Wäre das nicht deutlich förderlicher, als die Kommunikationsüberwachung. Oder wie wäre es mit Tempo 130 auf den Autobahnen, es gibt deutlich mehr Verkehrstote als Terrorismustote. (Ja, ich weiß, auch das Tempo 130 ist ein kontroverses Thema, ich will hier nur damit andeuten, daß es andere Möglichkeiten gibt, die Sicherheit zu verbessern, ohne gleich die Bürger zu überwachen.)
Datenschutz bedeutet nicht, dass der Staat wegschauen muss, wenn es um die Vorbereitung schwerster Straftaten geht. Datenschutz bedeutet, dass der Gesetzgeber transparente Grundlagen dafür schafft, wer welche Daten wofür erhebt, welche Daten vernetzt werden können, wie lange sie gespeichert werden – das heißt: klare rechtliche Regelungen und richterliche Kontrolle, aber kein bewusster Verzicht auf Informationen, die notwendig sind, um den staatlichen Sicherheitsauftrag wahrnehmen zu können.
Hier führt Herr Schäuble eine neue Definition von Datenschutz ein, ähnlich wie Frau Zypries. Das Bundesverfassungsgericht sieht das natürlich etwas anders, danach müsse der Bürger selbst entscheiden können, welche Daten er preisgibt und welche nicht.
Das Bundesverfassungsgericht praktiziert deshalb ein insgesamt hohes Maß an juristischer Selbstbeschränkung bei der materiellen Grundrechtsprüfung. Ob bei Themen der inneren Sicherheit diese Diagnose in gleichem Maße gilt, darüber kann man vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Sicherheitsgesetzgebung diskutieren. Bei der akustischen Wohnraumüberwachung hat etwa die Kernbereichslehre dazu geführt, dass ein in der Verfassung abgesichertes Ermittlungsinstrument weitgehend ins Leere läuft.

Dem Gesetzgeber muss aber der notwendige Spielraum verbleiben, um seine rechtsstaatlichen Aufgaben wahrzunehmen.
Ja, ja, das böse Bundesverfassungsgericht, weil es auf die Einhaltung des Grundgesetzes pochte, ist ein angedachtes Ermittlungsinstrument (nämlich der Große Lauschangriff) nicht mehr praktikabel. Daß sich Herr Schäuble deswegen mehr Spielraum erbittet, sagt doch alles.

14
Nov
2007

Gerecht ist, was Arbeit schafft

Ich kann diesen Slogan nicht mehr hören. Eben in der ARD hat Volker Kauder (CDU) diesen Slogan "Gerecht ist, was Arbeit schafft." zigmal als Argument gegen einen Mindestlohn vorgebracht. Ist eine ausbeuterische Arbeit gerecht? Hauptsache Arbeit?

Mit diesem Slogan kann man die Abschaffung des Kündigungsschutzes, von Arbeitsschutzgesetzen, von Urlaubs- und Feiertagsregelungen und überhaupt alle Einschränkungen bei der Berufsausübung (z.B. sanitäre oder umweltpolitische Auflagen) begründen. All das würde mehr Jobs bringen. Das ist eine extrem arbeitnehmerfeindliche Einstellung, aber Hauptsache Arbeit?

Die CDU ist ja gleichzeitig ein Verfechter der Kombilohnes, ein Modell, bei dem der Staat den restlichen Lohn zahlt, wenn der Arbeitgeber zu wenig zahlt. Ist das gerecht, daß meine Steuern und die meines Arbeitgebers darauf verwendet zu werden, anderen Arbeitgebern billige Arbeitskräfte zu finanzieren? Wo ist hier auch nur ein Fünkchen Gerechtigkeit?

13
Nov
2007

Der Bürger kann sicher sein

Was erzählte Frau Zypries im Bundestag über die Vorratsdatenspeicherung?
"Durch die einfache Speicherung der Vorratsdaten wird auch nichts verschlechtert; denn es bleibt dabei, dass die Daten nicht beim Staat, sondern wie heute bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert werden. Es bleibt dabei: Einen Zugriff auf diese Daten kann es nur geben, wenn man den Verdacht auf eine erhebliche Straftat hat und ein richterlicher Beschluss vorliegt. Es kann nicht willkürlich auf Daten zugegriffen werden. Deswegen sind die Beispiele aus den genannten Interviews falsch."
Und jetzt schauen wir uns zum Vergleich folgenden Bericht an. Journalisten u.a. der ARD wurden natürlich unter Berufung auf §129a StGB abgehört, Gespräche die mit den eigentlichen Ermittlungen angeblich nichts zu tun haben, wurden akribisch protokolliert. Aber vor allem wurden auch Gespräche zwischen Mandant und Anwalt (ja, das absolut geschützte Mandantengespräch bei Strafverteidigung) abgehört.

Und dann nehmen wir noch die Aussage von Konrad Freiberg, seines Zeichens Bundesvorsitzender der Polizeigewerkschaft, hinzu:
"Der Bürger kann sicher sein, dass die Polizei verantwortungsvoll mit diesen Daten umgeht."
Zypries und die Polizei verlangen von uns also ein Vertrauen in die Sicherheitsapparate zum sorgsamen Umgang mit den Überwachungsmöglichkeiten, welches in der Realität nicht gerechtfertigt ist. Schließlich ist das ja nicht das einzige Beispiel. Und gerade das ist einer der Kernpunkte. Mit jeder polizeilichen Maßnahme gibt es auch Mißbrauchsmöglichkeiten. Aber zum Beispiel bei der offenen Hausdurchsuchung gibt es hohe Hürden, denn das Opfer das Maßnahmen kann die Polizei unter Zuziehung eines Zeugen und eines Anwalts bei der Ausübung beobachten und kontrollieren, es kann sich anschließend gerichtlich wehren. Dies erhöht bei der Polizei natürlich die Hemmschwelle, eine solche Maßnahme einzusetzen. Bei der Telekommunikationsüberwachung und Vorratsdatenspeicherung hingegen fehlt eine solche Barriere, denn sie wird verdeckt eingesetzt. Die Telekommunikationsunternehmen, bei denen eine Überwachung angeordnet wird, haben Stillschweigen zu bewahren, die Opfer werden erst sehr spät oder womöglich nie darüber informiert. Und dabei hat ein Mißbrauch enorme Auswirkungen, die Mandanten eines belauschten Strafverteidigers können ein faires Verfahren vergessen, allein die Möglichkeit, daß Journalisten überwacht werden, wird Informanten abschrecken und so eine Säule unseres demokratischen Systems schwächen, und überhaupt legen Privatpersonen in ihren Telefongesprächen und E-Mails bisweilen große Teile ihres Privatlebens offen, die Mißbrauchsmöglichkeiten sind da unendlich.
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