Politik

19
Nov
2007

Schäubles Freund

Bei der Zeit kann man einen Artikel von Wolfgang Schäuble unter dem Namen "Dein Staat, dein Freund, dein Helfer" lesen. Schäuble hält dort ein Plädoyer für den Präventionsstaat. Gehen wir mal durch...

Der Titel ist schon sehr aussagend. Die Prämisse, daß der Staat gleichzeitig mein Freund ist, gilt eben nicht. Sonst bräuchten wir kein Grundgesetz. Das Grundgesetz dient ja gerade dazu, mich vor dem Staat zu schützen. Wir bräuchten es nicht, wenn der Staat mein Freund wäre.
Prävention hat im Rechtsstaat, gerade bei Straftaten, keinen niedrigeren Rang als nachträgliche Verfolgung. Ich verstehe deshalb nicht, wenn argumentiert wird, dass bestimmte Grundrechtseingriffe von vornherein nur zur Strafverfolgung, aber unter keinen Umständen gesetzlich zur Vorbeugung vorgesehen werden dürfen.
Der Unterschied ist doch der, daß strafrechtliche Konsequenzen primär einen Beschuldigten treffen. Es wurde eine Tat begangen, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Grundrechtseingriffe betreffen "nur" Verdächtige. Trotzdem muß auch hier sehr sensibel mit Grundrechtseingriffen umgegangen werden, denn es gilt bis zur Verurteilung die Unschuldsvermutung. Bei der Prävention jedoch gibt es keine solche Tat, sondern nur eine vermutete Gefährdung. Die dazu eingesetzten Maßnahmen sind also prinzipiell willkürlich, so können jeden treffen (z.B. bei der Vorratsdatenspeicherung treffen sie auch wirklich jeden) und sind nur schwerlich zu kontrollieren (wie will man eine solche Vermutung widerlegen?). Das Mißbrauchspotential ist hier also ob dieser Willkür besonders hoch. Deswegen und eben wegen des riesigen Betroffenenkreises müssen bei solchen Grundrechtseingriffen eben ganz andere, nämlich besonders strenge Maßstäbe angelegt werden.
Freiheit und Sicherheit sind nicht – wie bei Hobbes – Gegensätze, sondern bedingen einander.
Das hat Herr Schäuble zwar richtig aufgeschrieben, aber ich glaube, selbst nicht ganz verstanden. Es ist, wie es im Artikel und generell bei den meisten Äußerungen von Schäuble anklingt, keine Einbahnstraße. Nicht unbedingt Freiheit durch mehr Sicherheit, sondern umgekehrt auch mehr Sicherheit durch Freiheit. Mehr Freiheit aufgrund geringerer Präventionsmaßnahmen bedeutet nämlich auch mehr Sicherheit vor unverhältnismäßigen oder gar willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane.
Manche aktuelle Diskussion in Deutschland scheint demgegenüber bei Thomas Hobbes stehen geblieben zu sein. Mit einem vordemokratischen Staatsbild wird ein Gegensatz konstruiert zwischen der an Freiheit und Autonomie des Einzelnen orientierten Logik des liberalen Rechtsstaats und der an Sicherheit und Effizienz orientierten Logik eines dem Rechtsstaat entgegengesetzten Präventionsstaates. Der idyllischen, vorstaatlichen und vorrechtlich konstruierten Freiheit des Einzelnen wird der freiheitsbedrohende Staat gegenübergestellt, der selbst noch im demokratischen Gesetzgeber verkörpert ist.
Hier sind wir wieder beim Titel. Herr Schäuble unterstellt allen, die die "Freundschaft des Staates" mit Mißtrauen sehen, ein "vordemokratisches Staatsbild". Und das mit folgender Begründung:
Aber nie war die Freiheit nur vom Staat bedroht. Die Disziplinierung des Staates durch die Grundrechte und seine Aktivierung gehören in der Rechtsstaatlichkeit zusammen. Unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit bedrohen nur nichtstaatliche Akteure das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Auch die persönliche Freiheit und die Bewegungsfreiheit sind weit mehr von nichtstaatlicher Gewalt bedroht als durch den Rechtsstaat.
"Nie"? Er erwähnt im Artikel selbst den Nationalsozialismus, um danach zu behaupten, daß die Freiheit nie nur vom Staat bedroht wurde. Was haben wir da denn für Scheuklappen aufgesetzt. Und dann die Aussage "unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit" klammert einfach ein gewichtiges Argument gegen die Schäuble-Vorstellungen aus. Wie bitte garantiert Herr Schäuble denn Rechtsstaatlichkeit? Die Garantie dafür soll eben gerade das Grundgesetz bieten, und jede Einschränkung des Grundgesetzes ist eben auch eine Einschränkung dieser Garantie, aber diesen Aspekt läßt Herr Schäuble vollkommen unter den Tisch fallen, die Rechtsstaatlichkeit werde es immer geben, egal, wie die Grundrechte eingeschränkt werden. Und der letzte Satz ist als Rechtfertigung einfach nur schwach. Mit der Begründung, es gäbe noch schlimmere Akteure kann man die gräßlichsten Dinge anstellen. Das ist einfach kein Argument.
Wenn etwa in der Debatte über die Videoüberwachung öffentlicher Räume die gefühlte – und damit auch reale – Verkürzung der Freiheit geltend gemacht wird, so ist ebenso an die reale Verkürzung individueller Freiräume zu erinnern, die aus bedrohter persönlicher Sicherheit im öffentlichen Raum erwächst. Wer ist unfreier: der Bürger, der sich aufgrund einer Sorge vor Kriminalität zu bestimmten Zeiten nicht mehr an bestimmte Orte traut, oder derjenige, der bestimmte Räume meidet, weil sie videoüberwacht sind?
Hier ist Verhältnismäßigkeit das große Stichwort. Die Einschränkung der Freiheit durch die Videoüberwachung muß geringer sein, als die Einschränkung durch Kriminalität. Und dabei muß nicht nur die bloße persönliche Hemmung gewertet werden, sondern eben auch die Mißbrauchsmöglichkeiten durch Mitarbeiter staatlicher Organe oder eben auch durch die geringere Wehrhaftigkeit der Bevölkerung gegenüber willkürlichen oder grundgesetzwidrigen staatlichen Handeln. Und die Begründung dieser Verhältnismäßigkeit läßt sich bisher bei jeder Äußerung Schäubles vermissen, auch in diesem Artikel.

Wenn mit Terrorismus argumentiert wird (wie es ein Satz vor oben genannten Zitat geschieht), dann wird mit Ängsten gespielt, jedoch keine Verhältnismäßigkeit begründet. Terrorismus ist in Deutschland derzeit kaum existent, nicht auch zuletzt aufgrund der guten Arbeit der staatlichen Organe mit bestehenden Mitteln. Verbreitet wird dagegen die Angst davor.
Der Rechtsstaat hat immer darauf geachtet, dass es keine Rückzugsräume für Kriminelle gibt. Er muss auch heute darauf achten, dass keine entstehen. Deswegen brauchen wir die Onlinedurchsuchung. Wir geben den Rechtsstaat eher auf, wenn wir zulassen, dass der Staat und sein Recht in der globalisierten Internetgesellschaft an Boden verlieren, als – wie dies vielfach beschworen wird – durch die Einführung neuer, dem technischen Fortschritt geschuldeter Ermittlungsinstrumente.
Das sieht das Verfassungsgericht anders. Auch für Kriminelle gibt es Rückzugsräume, nämlich den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Und die Onlinedurchsuchung stellt einen Eingriff in diesen Kernbereich dar. Mir ist nicht ganz klar, wieso wir den Rechtsstaat aufgeben, wenn wir persönliche Kommunikation (egal welchen Inhalts) außer Acht lassen, genauso wie wir auch die Gedanken eines jeden außer Acht lassen? Wieso kann Strafverfolgung und Verbrechensprävention nicht ohne Überwachung der persönlichen Kommunikation auskommen? Persönliche Kommunikation wird in Zukunft immer besser digital geschützt sein (die kaum knackbaren Verschlüsselungstechnologien gibt es bereits, jetzt ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie den Alltag endgültig durchdringen, und die Implementationen vor staatlicher oder krimineller Manipulation sicher sind), der Staat wird also entweder irgendwann dieses Terrain verlieren oder aber wir finden uns in einer Totalüberwachung wieder.

Ein weiterer Punkt bleibt hierbei außer Acht: Gibt es nicht andere Möglichkeiten, bei denen wir mehr Freiheit und Sicherheit für unser Geld bekämen? Wie wäre es zum Beispiel mit der personellen Aufrüstung unserer überlasteten Polizei. Wäre das nicht deutlich förderlicher, als die Kommunikationsüberwachung. Oder wie wäre es mit Tempo 130 auf den Autobahnen, es gibt deutlich mehr Verkehrstote als Terrorismustote. (Ja, ich weiß, auch das Tempo 130 ist ein kontroverses Thema, ich will hier nur damit andeuten, daß es andere Möglichkeiten gibt, die Sicherheit zu verbessern, ohne gleich die Bürger zu überwachen.)
Datenschutz bedeutet nicht, dass der Staat wegschauen muss, wenn es um die Vorbereitung schwerster Straftaten geht. Datenschutz bedeutet, dass der Gesetzgeber transparente Grundlagen dafür schafft, wer welche Daten wofür erhebt, welche Daten vernetzt werden können, wie lange sie gespeichert werden – das heißt: klare rechtliche Regelungen und richterliche Kontrolle, aber kein bewusster Verzicht auf Informationen, die notwendig sind, um den staatlichen Sicherheitsauftrag wahrnehmen zu können.
Hier führt Herr Schäuble eine neue Definition von Datenschutz ein, ähnlich wie Frau Zypries. Das Bundesverfassungsgericht sieht das natürlich etwas anders, danach müsse der Bürger selbst entscheiden können, welche Daten er preisgibt und welche nicht.
Das Bundesverfassungsgericht praktiziert deshalb ein insgesamt hohes Maß an juristischer Selbstbeschränkung bei der materiellen Grundrechtsprüfung. Ob bei Themen der inneren Sicherheit diese Diagnose in gleichem Maße gilt, darüber kann man vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Sicherheitsgesetzgebung diskutieren. Bei der akustischen Wohnraumüberwachung hat etwa die Kernbereichslehre dazu geführt, dass ein in der Verfassung abgesichertes Ermittlungsinstrument weitgehend ins Leere läuft.

Dem Gesetzgeber muss aber der notwendige Spielraum verbleiben, um seine rechtsstaatlichen Aufgaben wahrzunehmen.
Ja, ja, das böse Bundesverfassungsgericht, weil es auf die Einhaltung des Grundgesetzes pochte, ist ein angedachtes Ermittlungsinstrument (nämlich der Große Lauschangriff) nicht mehr praktikabel. Daß sich Herr Schäuble deswegen mehr Spielraum erbittet, sagt doch alles.

14
Nov
2007

Gerecht ist, was Arbeit schafft

Ich kann diesen Slogan nicht mehr hören. Eben in der ARD hat Volker Kauder (CDU) diesen Slogan "Gerecht ist, was Arbeit schafft." zigmal als Argument gegen einen Mindestlohn vorgebracht. Ist eine ausbeuterische Arbeit gerecht? Hauptsache Arbeit?

Mit diesem Slogan kann man die Abschaffung des Kündigungsschutzes, von Arbeitsschutzgesetzen, von Urlaubs- und Feiertagsregelungen und überhaupt alle Einschränkungen bei der Berufsausübung (z.B. sanitäre oder umweltpolitische Auflagen) begründen. All das würde mehr Jobs bringen. Das ist eine extrem arbeitnehmerfeindliche Einstellung, aber Hauptsache Arbeit?

Die CDU ist ja gleichzeitig ein Verfechter der Kombilohnes, ein Modell, bei dem der Staat den restlichen Lohn zahlt, wenn der Arbeitgeber zu wenig zahlt. Ist das gerecht, daß meine Steuern und die meines Arbeitgebers darauf verwendet zu werden, anderen Arbeitgebern billige Arbeitskräfte zu finanzieren? Wo ist hier auch nur ein Fünkchen Gerechtigkeit?

13
Nov
2007

Der Bürger kann sicher sein

Was erzählte Frau Zypries im Bundestag über die Vorratsdatenspeicherung?
"Durch die einfache Speicherung der Vorratsdaten wird auch nichts verschlechtert; denn es bleibt dabei, dass die Daten nicht beim Staat, sondern wie heute bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert werden. Es bleibt dabei: Einen Zugriff auf diese Daten kann es nur geben, wenn man den Verdacht auf eine erhebliche Straftat hat und ein richterlicher Beschluss vorliegt. Es kann nicht willkürlich auf Daten zugegriffen werden. Deswegen sind die Beispiele aus den genannten Interviews falsch."
Und jetzt schauen wir uns zum Vergleich folgenden Bericht an. Journalisten u.a. der ARD wurden natürlich unter Berufung auf §129a StGB abgehört, Gespräche die mit den eigentlichen Ermittlungen angeblich nichts zu tun haben, wurden akribisch protokolliert. Aber vor allem wurden auch Gespräche zwischen Mandant und Anwalt (ja, das absolut geschützte Mandantengespräch bei Strafverteidigung) abgehört.

Und dann nehmen wir noch die Aussage von Konrad Freiberg, seines Zeichens Bundesvorsitzender der Polizeigewerkschaft, hinzu:
"Der Bürger kann sicher sein, dass die Polizei verantwortungsvoll mit diesen Daten umgeht."
Zypries und die Polizei verlangen von uns also ein Vertrauen in die Sicherheitsapparate zum sorgsamen Umgang mit den Überwachungsmöglichkeiten, welches in der Realität nicht gerechtfertigt ist. Schließlich ist das ja nicht das einzige Beispiel. Und gerade das ist einer der Kernpunkte. Mit jeder polizeilichen Maßnahme gibt es auch Mißbrauchsmöglichkeiten. Aber zum Beispiel bei der offenen Hausdurchsuchung gibt es hohe Hürden, denn das Opfer das Maßnahmen kann die Polizei unter Zuziehung eines Zeugen und eines Anwalts bei der Ausübung beobachten und kontrollieren, es kann sich anschließend gerichtlich wehren. Dies erhöht bei der Polizei natürlich die Hemmschwelle, eine solche Maßnahme einzusetzen. Bei der Telekommunikationsüberwachung und Vorratsdatenspeicherung hingegen fehlt eine solche Barriere, denn sie wird verdeckt eingesetzt. Die Telekommunikationsunternehmen, bei denen eine Überwachung angeordnet wird, haben Stillschweigen zu bewahren, die Opfer werden erst sehr spät oder womöglich nie darüber informiert. Und dabei hat ein Mißbrauch enorme Auswirkungen, die Mandanten eines belauschten Strafverteidigers können ein faires Verfahren vergessen, allein die Möglichkeit, daß Journalisten überwacht werden, wird Informanten abschrecken und so eine Säule unseres demokratischen Systems schwächen, und überhaupt legen Privatpersonen in ihren Telefongesprächen und E-Mails bisweilen große Teile ihres Privatlebens offen, die Mißbrauchsmöglichkeiten sind da unendlich.

12
Nov
2007

Dümmste Rechtfertigung des Tages

Diese gibt es heute in der Anlage 4 des Protokolls der 124. Sitzung des Bundestages:
Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird.
Das schrieben 26 SPD-Abgeordnete (darunter auch Andrea Nahles) unter anderem als Rechtfertigung für ihre Zustimmung zur Vorratsdatenspeicherung.

Da faßt man sich doch nur an den Kopf. Die Abgeordneten treten Gesetgebungskompetenzen an das Bundesverfassungsgericht ab. Hallo? Die Anrufung des BVerfG sollte auch bei solchen Gesetzen eine Ausnahme sein und nicht die Regel. Die Kontrollfunktion über die Bundesregierung, welches das Parlament normalerweise ausüben sollte, gibt es mit dieser Einstellung nicht mehr. Aber vor allem orientieren sich auch hier unsere Abgeordneten damit dann mal wieder am verfassungsmäßigen Minimun von Grundrechten.

Diese 26 SPD-Abgeordneten haben damit kein Rückgrat bewiesen. Auch dieser Abgeordnete, Marco Bülow, der ankündigte, nicht mehr unbedingt der Mehrheit folgen zu wollen, gehört dazu.

Heise Online veröffentlichte einen vollständigen Verriß dieser Erklärung.

Nachtrag vom 20.11.2007: Auf Telepolis gibt es zur Verhaltensweise der Politiker bei diesem Thema einen lesenswerten Artikel von Bettina 'Twister' Winsemann, der nochmal nachweist, was wir schon wissen: "Politiker sind Umfaller, haben keine Ahnung, heucheln oder lügen."

9
Nov
2007

Vorratsdatenspeicherung beschlossen

Fernmeldegeheimnis war einmal

Was erwartet man von jemanden, der in Verfolgung seiner Ziele so blind geworden ist, daß er den Bezug zur Realität verloren hat? Sätze wie:
"Wir hatten den 'größten Feldherrn aller Zeiten', den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten."
Der Bundestag hat also heute in 2. und 3. Lesung die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Die Debatte dazu im Bundestag war mal wieder sehr aufschlußreich. Unsere Bundesjustizminsterin Zypries begann:
"Und mit der Erweiterung von Telekommunikationsüberwachungsmöglichkeiten hat die Regelung auch überhaupt gerade gar nichts zu tun."
Daß alle meine Telekommunikationen zwangsweise mitprotokolliert werden müssen, hat mit Erweiterung von Überwachungsmöglichkeiten nichts zu tun? Da fragt man sich, was dann mit Überwachung zu tun hat? Wenn die ganze Welt mitlesen darf?

Es ging ja weiter. Frau Zypries meinte, daß der Bürger mit dieser Regelung auch nicht schlechtergestellt werde, "denn es bleibt dabei, die Daten werden ja nicht beim Staat gespeichert, sondern sie werden bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert, genau wie heute auch. Und es bleibt dabei, ein Zugriff auf diese Daten kann es nur geben, wenn man den Verdacht auf eine schwere Straftat hat und einen richterlichen Beschluß."

Wieso macht es einen Unterschied, ob der Staat das speichert, oder die Unternehmen im Auftrage des Staates? Die Unternehmen kann ich noch viel schlechter kontrollieren. Wenn man sich das so einfach machen kann, da gibt's bestimmt noch mehr Polizeiaufgaben, die man an private Unternehmen delegieren kann. Das wird sicher lustig.

Und der Satz mit der schweren Straftat ist sowieso ein Witz, so weisen diverse Redner später daraufhin, daß im Gesetzestext nur von erheblichen Straftaten geredet wird. Auch fällt natürlich §129a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) darunter, das ist vorwiegend ein Ermittlungsparagraph, bei dem es nur in wenigen Fällen zu einer Verurteilung kommt, aber man darf alles mögliche ermitteln, ein Freifahrtsschein für's BKA, wenn man nur irgendwie einen Verdacht begründen kann. Aber das Schärfste, was auch Frau Zypries wissen muß und deswegen ich mir sicher bin, daß sie lügt, ist, daß auch alle Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen werden, (so der Gesetzestext) darunterfallen. Und da reicht es schon, wenn ich jemanden in einem Forum beleidige. Eine ungeheur schwere Straftat.

Bei dieser Lesung ging es nicht nur um die Vorratsdatenspeicherung, sondern auch allgemein um die Telekommunikationsüberwachung (eine Stunde für beide Themen, etwas knapp, oder?). Jedenfalls bei der Telekommunikationsüberwachung wurde nun der Schutz von Berufsgeheimnisträgern stärker gesetzlich verankert. Dabei gibt es zwei Arten dieser Berufsgeheimnisträger, zum Einen die priviligierten, bei denen ein absolutes Beweiserhebungs- und verwertungsverbot existiere. Darunter fallen Strafverteidiger, Geistliche und (natürlich) Abgeordnete. Und zum Anderen die nicht privilegierten, bei denen das Gericht abwägen darf, ob der Eingriff gerechtfertigt ist oder nicht (Huch? Und was geschieht bei Nicht-Berufsgeheimnisträgern? Da ist es eh egal?). Zu denen gehören die ganz normalen Anwälte, Ärzte und Journalisten. Und diese Trennung war Bestandteil großer Proteste dieser Berufsgruppen.

Siegfried Kauder nahm dazu mit der Begründung Stellung, daß diese Trennung das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil erlaubt hätte. Das mag richtig sein, aber damit bewegt er sich am verfassungsrechtlichen Minimum. Wollen wir das? Gerade nur die Freiheiten geben, die das Grundgesetz verbindlich festlegt, auf keinen Fall mehr? Schöne Richtung, liebe CDU.

Lustig fand ich seine Aussage: "Wir wollen keinen gläsernen Menschen, wir wollen einen gläsernen Verbrecher." Aha, und wie unterscheiden Sie die beiden, bevor Sie sie überwachen? Wenn die Polizei ja weiß, wer schuldig ist, wieso dann noch die Überwachung? Ein Scherzkeks, dieser Kauder. (Wohin diese Einstellung führt, zeigt folgender Bericht von Polylux über Anrej Holm.)

Am Ende seiner Rede lieferte er noch folgendes Bonbon zur Vorratsdatenspeicherung:
"Und man darf nicht den Eindruck erwecken, als würden wir flächendeckend Daten erheben. [...] Es geht darum, daß ein ohnehin bestehender Zustand in seinem Zweck und der Sinngebung anders gelagert wird. [...] Also was ändert sich denn mit dem Gesetzentwurf zur jetzigen Gesetzeslage? Nichts wesentliches. Der einzige technische Unterschied ist, daß Telekommunikationsunternehmen nunmehr nicht mehr freiwillig 6 Monate lang Daten speichern dürfen, sondern daß sie gesetzlich dazu aufgerufen sind, diese Daten zu erheben."
Also erstmal tituliert er ein klar rechtswidriges Verhalten, nämlich die jetzige Speicherung von Verbindungsdaten durch die Telekommunikationsunternehmen, als "jetzige Gesetzeslage". (Man kann nämlich durchaus davon ausgehen, daß die Flatrate-Nutzer einen Großteil der Internetnutzer darstellen, und da ist die Speicherung illegal.) Auch daß die zwangsweise Protokollierung im wesentlichen nichts anderes als eine freiwillige Aufzeichnung ist, ist schon eine bemerkenswerte Äußerung für einen Anwalt. Aber er unterschlägt, daß die Protokollierungspflichten deutlich über die jetzigen (illegalen) Speicherungen hinausgehen: Jetzt wird nicht jede E-Mail mitprotokolliert oder der Standort bei Handytelefonaten.

Zwei weitere Kritikpunkte wurden noch von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Jan Korte (Die Linke) vorgetragen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger antwortete auf Frau Zypries Aussage, dieses Gesetz räume den Nachrichtendiensten
keinerlei Befugnisse ein, daß dies zwar richtig sei, aber auch der (mit diesem Gesetzespaket hinzugefügte) §113b TKG erlaubt, daß die so verpflichtend gespeicherten Daten an die Geheimdienste herausgegeben werden können. Toll nicht?

Herr Korte wies zur Telekommunikationsüberwachung darauf hin, daß das Gesetz den privaten Kernbereich nur dann vor Überwachung schützt, wenn "allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung
erlangt würden"
(so der Gesetzestext). Wie soll die Polizei das im Voraus wissen? Außerdem redet man doch auch immer von anderen (möglicherweise auch belanglosen, jedoch nicht mehr privaten) Themen, so daß immer auch andere Erkenntnisse erlangt würden. Ein schönes Schlupfloch, was unser Justizministerium da gelassen hat.

Den Höhepunkt der Lächerlichkeit brachte dann Klaus Uwe Benneter (SPD). Er meinte, er habe ein Interesse "an der Ermittlung der Täter, an der Feststellung ihrer Schuld, auch am Freispruch bei Unschuldigen." Lobenswert, und meinte im nächsten Satz: "Das alles ist unter den heutigen Bedingungen eben nur möglich, wenn auch die Kommunikationsmöglichkeiten überwacht und hier gespeichert, erhoben und gespeichert werden." Abgesehen davon, daß es strittig ist, inwiefern die Vorratsdatenspeicherung die Aufklärungsquote von Straftaten noch wesentlich erhöhe, finde ich es sehr bedenktlich, wenn die Vorratsdatenspeicherung benötigt wird, um Unschuldige freizusprechen.

Aber Herr Benneter steigerte sich noch:
"Es ist unwahr, wenn sie hier jetzt tun, als würden wir hier alle unter Generalverdacht gestellt werden. Das ist Quatsch. Dann würde heute auch jeder unter Generalverdacht stehen, der irgendwo ein Konto hat, denn auch da darf dann bei entsprechenden Verdachtsmomenten zugegriffen werden."
Die Kontenabfrage, die durch das Gesetz zur Förderung von Steuerehrlichkeit auch für sonstige Behörden eingeführt wurde, stellt natürlich alle Bürger unter Generalverdacht, Steuern zu hinterziehen oder Sozialleistungen zu erschleichen, denn die Abfrage wird verdachtsunabhängig durchgeführt. Auch ansonsten ist diese Aussage ein klassischer Beleg für die Salamitaktik, wenn das mit den Konten okay ist, dann ist das mit der ganzen Telekommunikation ja auch okay, und mit dem Mautdaten usw., Schritt für Schritt zum Überwachungsstaat. Grrr.

Hier ist übrigens der Gesetzesentwurf und die namentliche Liste über das Abstimmungsverhalten. Das Gesetz wurde angenommen, netzpolitik.org dokumentiert Reaktionen auf diesen Beschluß...

PS: Unsere Abgeordneten haben anscheinend auch einen merkwürdigen Humor, denn am gleichen Tag beschließen sie die Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals, so daß wir uns an die frühere Freiheit zurückerinnern können.

28
Sep
2007

China

Ein Land mit einer alptraumartigen Menschenrechtssituation und katastrophalen Arbeitsbedingungen. Ein Land, von dem wir uns politisch erpressen lassen (z.B. Taiwan nicht anerkennen zu lassen) und das Embargos von Europa und den USA dadurch umgeht, indem erst recht Handel mit Despoten in Afrika treibt. Ein Land, das im UN-Sicherheitsrat gegen Sanktionen für Myanmar stimmt, wo das Militär auf unbewaffnete und friedliche Menschen schießt, die einfach nur Demokratie wollen.

Mit einem solchen Land treiben wir Handel.

17
Sep
2007

Flugzeuge abballern

So, also da entscheidet das Bundesverfassungsgericht, daß der Abschuß eines Flugzeuges mit unschuldigen Passagieren verfassungswidrig sei, weil es dem Staat aufgrund des gebotenen Schutzes der körperlichen Unversehrtheit und der Menschenwürde nicht erlaubt ist, Menschenleben gegeneinander aufzurechnen.

Wen interessiert das nun überhaupt nicht? Unseren Verteidigungsminister Jung. Jemand, der seinen Eid auf das Grundgesetz geschworen hat, ignoriert dessen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht, als ob er drüber stehe. Er sagte:
"Ich wünsche mir eine verfassungsrechtliche Klarstellung."
Was bitte gibt es hier noch klarzustellen? Es gibt ein Urteil, dies bezieht sich auf Grundrechte, die unantastbar sind, da kann man auch nichts mehr ändern. Jung weiter:
"Deshalb müsste ich im Notfall vom Recht des übergesetzlichen Notstands Gebrauch machen."
Was? Welches Recht? Recht die Gesetze zu ignorieren? Das gibt's? Der übergesetzliche Notstand ist für Situationen, welche vom Gesetzgeber nicht vorhergesehen werden konnten. Dies gilt wohl kaum für die Entführung von Flugzeugen für terroristische Anschläge, denn dazu gibt es sogar ein Urteil dazu!

Das ist echt unglaublich, was ein studierter Anwalt so von sich gibt.

PS: Ein schöner Essay dazu ist bei Spiegel-Online zu lesen.

4
Sep
2007

Rechtsfreie Räume

Die bekloppten Aussagen reißen nicht ab. Ronald Pofalla, seines Zeichens CDU-Generalsekretär, meinte gestern:
"Der Computer darf kein rechtsfreier Raum in Deutschland sein, wenn es um die wirksame Bekämpfung von Terrorismus hier bei uns in Deutschland geht."
Na eine solche Aussage kann man doch ergänzen:
"Das Schlafzimmer darf kein rechtsfreier Raum in Deutschland sein, wenn es um die sexuelle Selbstbestimmung hier bei uns in Deutschland geht."
oder auch:
"Die Bankkonten der Parteien und Politiker dürfen kein rechtsfreier Raum in Deutschland sein, wenn es um die Demokratie hier bei uns in Deutschland geht."
Oder wie wäre es mit einem Slogan à la "Keine rechtsfreien Räume mehr durch das Bundesverfassungsgericht!"?

29
Aug
2007

Bürgerrechte von Terroristen

Die folgende Aussage vom polizeipolitischem Sprecher der CDU Baden-Württemberg, Thomas Blenke, gehört wohl zu den Top10 der beklopptesten Aussagen der letzten Woche: "Die FDP muss aufwachen und erkennen, dass der Schutz der Bevölkerung schwerer wiegt als die Bürgerrechte von Terroristen."

Wenn er garantieren kann, daß normale Bürger niemals von solchen Ermittlungen erfaßt werden, wie wär's dann mit einer Art Garantie? 100.000 Euro als Schadenersatz, falls es doch passiert?

Scherz beseite. Wenn die Polizei sicher weiß, wer ein Terrorist ist, wozu braucht man dann noch die Online-Durchsuchung? Sie könnte ihn dann einfach wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaften und anklagen. Nur mit der Online-Durchsuchung sollen ja gerade Vorfeld-Handlungen aufgedeckt werden, so daß hier auch ein Fehltreffer passieren kann.

Außerdem fehlt mir der Glaube, daß damit im Endeffekt nur Terroristen gejagt werden, die Kontostammdaten waren ja ursprünglich auch nur, um die Geldflüsse von Terroristen aufzudecken, heutzutage werden damit Sozialbetrüger gesucht. Oder wie es Peter Schaar formulierte: "Es gibt keine wirklich sichere Methode bei der Online-Durchsuchung, auch die Keylogger nicht. Die Dummen wird man mit der Durchsuchung finden, die anderen nicht. Das haben wir heute schon bei der Vorratsdatenspeicherung, mit der Urheberrechtsverletzungen gefunden werden und nicht der einen Anschlag planende Terrorist."

24
Aug
2007

Mehr Zivilcourage

"Wir brauchen nicht mehr Geld, sondern mehr Zivilcourage" meinte Herr Pofalla, seines Zeichens CDU-Generalsekretär, in Reaktion auf die Vorfälle in Sachsen. Abgesehen davon, daß ich Sie, Herr Pofalla, gerne mal sehen würde, wie Sie sich einer Horde Rechtsextremer in den Weg stellen, verkürzen Sie doch arg das Problem. Meinen Sie echt, daß, wenn sich genug Leute in den Weg stellen, verschwindet der Rechtsextremismus?

Wir brauchen viel eher eine Perspektive für alle Bevölkerungsschichten, Hartz IV ist keine. Bei einer Arbeitslosenquote von über 14% ist doch ganz logisch, daß sich Resignation und (je nach Intelligenzgrad) auch Gewalt entwickelt. Aber das braucht Sie ja nicht interessieren, Herr Pofalla, Sie bekommen selbst für dümmliche Aussagen und Aktionen Ihr Geld, und davon nicht wenig.

Nachtrag (05.09.2007): Gestern in Frontal21 kam ein interessanter Beitrag zum Thema Zivilcourage.
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